Nr. 53 - 1. September 1976 - 5. Jahrgang
"Ein Mosthaus ein gutes Haus'' (Teil
1)
(verfasst von Ob.Insp. Hans Hintermayr,
Kustos des Mostviertelmuseums in Stadt Haag)
Das Gebiet zwischen Enns und Ybbs gilt
seit Jahrhunderten als das Kernland für einen ertragreichen Mostobstbau.
"Birnbäume und Äpfelbäume hat es anscheinend seit dem Frühmittelalter hier
gegeben, und sie wurden durchwegs als Träger von Mostobst kultiviert"1. Im
Mittelalter hieß der Most "lît", der Mostwirt "lîtgeb"
woraus der heutige Familienname "Leitgeb" entstand. Durch diesen
blühenden Wirtschaftszweig erhielt unser Landesteil später den Namen
"Mostviertel". Ursprünglich diente der Most zur Selbstversorgung als
Haustrunk und war seinerzeit selbst für den kleinen Zehent nicht bedeutend. Der
Most als Volksgetränk wurde später auch allmählich in Weingegenden gehandelt;
dies führte mitunter zu polizeilichen Verboten um dem bodenständigen Weinkonsum
nicht zu schaden (z.B. in Melk um 1770)1). Durch die beginnende
Industriealisierung, das Größerwerden der Orte‚ begann für das heimische
Getränk, dem vergorenen Obstmost - mancherorts als "Landessäure"
betitelt - die Hochblüte. Der Spruch "Ein Mosthaus - ein gutes Haus"
hatte viele Generationen lang einen guten Klang.
Den Most hat früher der Landwirt durchwegs
mittels eigenen Mostladewagens bzw. Mostladeschlittens in die Gasthäuser, wie
nach Steyr, Enns, Linz und Waidhofen, um nur einige zu nennen, transportiert.
Diese Fahrzeuge waren massiv gebaut und doch schön anzusehen wegen ihrer
Bemalung, ergänzt mit Namen und Jahreszahl. Gar manche Mostfuhrwerker brachen
schon um drei Uhr früh vom Hof auf, um den Most noch in den kühlen
Vormittagsstunden beim Wirt abzuladen. Immerhin waren Strecken von 20 bis 30 km
mit den Pferdefuhrwerken zurückzulegen. Eine Menge von 20 bis 30 Eimer Most (1
Eimer = 56 Liter), die oft wöchentlich einmal den Abnehmern zugestellt wurde,
war keine Seltenheit. Den Transport in weiter entfernte Gebiete, wie nach Wien,
Wr. Neustadt, Neunkirchen oder ins Waldviertel, übernahmen die Bahn oder
LKW-Lohnfuhrwerker. Selbst die heimischen Gastwirte waren gute Abnehmer. Die
Vorfahren des Gasthofes F. Schafelner in Haag haben z.B. im Jahre 1847 176
Eimer Apfel- und 348 Eimer Birnenmost für ihre überwiegend heimischen Gäste
ausgeschenkt . Damals kostete im Einkauf für den Wirt ein Eimer Apfelmost 4 bis
5 Gulden, der Birnenmost ca. 3,5 Gulden. Zum Vergleich sei angeführt, dass zu
dieser Zeit ein Eimer Rotwein um 30 Gulden eingekauft wurde.
Durch den zunehmenden Absatz erfuhr die Mostgewinnung eine stete
Ausweitung, sowohl in Qualität als auch in Quantität. Es gab schon im 19.
Jahrhundert Bauern, die bis zu 1000 Obstbäume hatten.
Wie mehrere Landwirte übereinstimmend
berichteten, waren in unserem Jahrhundert, in den Jahren 1917 und 1934, die
größten Obsternten zu verzeichnen. Sowohl bei kleinen wie auch bei großen
Wirtschaften wurden die Keller zu klein und die Fässer zu wenig. Einige der
größten Mosthäuser in Haag konnten bei solchen Obstschwemmen zwischen 1.500 bis
zu 2.100 Eimer mit Most füllen. Gewiss gab es in diesen Spitzenjahren wenige
Betriebe, die mehr als 1.000 Eimer erzielten. Als gute Durchschnittsjahre
wurden in den Dreißiger-Jahren ein Ergebnis von 800 bis 1.300 Eimer bezeichnet.
Es gab aber selbst für so prädestinierte Häuser auch Jahre, wo sie nicht einmal
einen einzigen Eimer Most erzeugen konnten.
Gute Mostjahre hatten eine große
wirtschaftliche Bedeutung. In unserer Gegend wissen Personen zu erzählen, dass
aus den Erträgnissen der Mostwirtschaft gar mancher "Hausstock"
(Neubau des Wohngebäudes) geschaffen werden konnte. Damals hatte die
Mostwirtschaft das gleiche Gewicht wie der Getreidebau.
Durch den guten Mostabsatz profitieren
ebenso viele andere Wirtschaftszweige, wie z.B. der Land-Handwerkerstand. Die
Bindereien erlebten einen Aufschwung. Die Nachfrage nach größeren Gebinden
wurde reger. Es wurden wohl Qualitätsfässer erzeugt, es fehlte aber zumeist an
der Verzierung des Fassbodens, wie sie bei vielen Weinfässern anzutreffen war.
Bestenfalls waren die Vorderseiten der Mostfassböden mit Kreisen, Initialen und
Jahreszahlen versehen, sehr selten wurden die Fassböden richtig geschnitzt.
Daher gibt es wenig Mostfässer mit Reliefarbeiten.
Auch das Steinmetzgewerbe konnte sich stark entfalten. Die großen
Birnreibm, auch Steinreiben oder nur als "Reibm" bezeichnet, brachten
in der damaligen Zeit für diese Berufsgruppe zahlreiche Aufträge: für den
Kollerstein, hierzulande als "Walzl, "Walzenstein" oder auch
"Reibmstein" geläufig (Durchmesser 170 cm), und den kreisförmigen,
brunnentrogartigen Nursch (Durchmesser 360 cm), beide aus Granit gehauen, oder
die Birnmühlen, deren Mühlsteine (Durchmesser 80 cm) ebenfalls aus Granit
bestanden.
Der runde Walzenstein wurde durch
tierische Zugkraft in Bewegung gesetzt und das im Nursch befindliche Obst
zerquetscht. Anders war der Ablauf bei den Birnmühlen. Die beiden Mühllsteine
aus Granit mussten händisch mit einer Kurbel in einander entgegengesetzter
Richtung gedreht werden. Das Obst, das durch eine Goß (Behälter oberhalb der
Mühlsteine) zwischen die drehenden Steine gelangte, wurde auf diese Weise
zermahlen. Es war dies eine starke Arbeit, die aber doch oft von Frauen
verrichtet wurde. Beide Fabrikate, die Birnreibm und die Birnmühle, waren auch
im benachbarten oberösterreichischen Raum anzutreffen. Bevor diese Mühlen
aufkamen, wurde das Mostobst in einem hölzernen Granda‚ "Stößgranda"
genannt, mit Holzstößeln zerkleinert. Dieser Behälter war wannenartig aus einem
Eichenstamm gestemmt (Ausmaß: B 80cm, H 60 cm. L 290 cm).
Eine bessere Ausbeutung des Obstes
brachten die Schabermühlen mit Motorantrieb. Das Obstmahlen ging nun viel
leichter und schneller. Durch das feinere Zermahlen erzielte man sogar mit
Pressen aus dem 19. Jahrhundert eine größere Menge an Saft. Bei der heutigen
hydraulischen Presstechnik gewinnt man bei den Birnensorten eine Ausbeute von
rund 65 bis 75 %, während die Mostäpfel nicht so ergiebig (nur ca. 50 %) sind.
Sowohl bei den Birnen als auch bei den Äpfeln sind große Ertragsunterschiede
möglich.
Beim Mostmachen gibt es vieles zu
beachten. Die Reinhaltung der Fässer ist ganz wichtig. Nach dem Leerwerden der
Gebinde kommen sie aus dem Keller ins Freie, sie werden geöffnet (Herausnahme
des vorderen Fassbodens), befreit vom "Mostglächer" (Gläger),
gründlich gewaschen und mehrere Wochen im Halbschatten des Hausgartens
"ausgesüßt", d .h, von Luft und Sonne ausgetrocknet. Größere Fässer
werden oft im Keller, an Ort und Stelle, belassen, gewaschen und alle vier
Wochen ausgeschwefelt.
Neben der steten Sorge nach Reinlichkeit in allen Belangen gilt
der Sorte ein gewisses Augenmerk. Zum Beispiel wird bei der
"Pöllerbirne" (Grüne Pichelbirne) durch längeres Nachreifenlassen der
Zuckergehalt erhöht, der Gerbstoff und der Säuregehalt vermindert. Bei der
"Schmotzbirne" würde ein Liegenlassen den Most schlecht klären, d.h.
er würde trüb bleiben. Für einen guten Apfelmost ist die Mischung mehrerer
Apfelsorten (z.B. Wolfsbacher Holzapfel oder andere Holzapfelsorten, Griesapfel
und Weinapfel ) empfehlenswert . Der vergorene Apfelmost halt sich im Fass sehr
lange und gilt nach dem Naturheilkundler R. Willfort als Heilgetränk. Er
schmeckt relativ mild, trinkt sich oft leichter als ein "Mischling"
(Saft aus Äpfeln und Birnen) oder als der reine Birnenmost, doch wird er in
seiner Alkoholwirkung nicht immer gleich erkannt! Einen guten Birnenmost
garantieren: Lehoferbirne, Landlbirna, Pöllerbirne, Speckbirne, Toatschbirn und
Tollbirn. Weil der Birnenmost in der Regel eine kurze Haltbarkeit hat, wird
gewöhnlich mehr Mischlingmost erzeugt. Dieser behält sein Aroma gewöhnlich bis
in den Spätsommer des Nachjahres. Individueller als die Obstmühlen waren die
Mostpressen. Von der Einspindelpresse bzw. Kaspress bis zur großen
Fünfspindelpresse, von der Leiterpresse bis zur Stein- bzw. Zwangpresse war
alles nebeneinander anzutreffen.
Literaturhinweis 1) L. Schmidt, Volkskunde
von Niederösterreich, 1. Band.
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