Nr. 79 - 1. November 1978 - 7. Jahrgang
UNSERE VIERKANTHÖFE
(verfasst von Ob.Insp. Hans Hintermayr, Kustos des Mostviertelmuseums in
Stadt Haag)
Über die Entstehung des Vierkanthofes gibt es einige Theorien. Sicher
war es ein langer Werdegang, bis sich jener ausgereifte Bautypus ergab, wie er
sich heute darstellt. Es mag verschiedene Vorstufen, ähnliche Höfe im In-. und
Ausland geben, der Vierkanter jedoch ist nur im ober- und
niederösterreichischen Raum, und zwar vorwiegend in den fruchtbaren Flach- und
Hügelgebieten südlich der Donau, als die vollkommenste Gehöfteform anzutreffen.
Über die geschichtliche Entwicklung der Vierkanthöfe gibt es nur Theorien und
keine handfesten Beweise:
1. Die Wehrtheorie: der
Vierkanter sei etwa mittelalterlichen Schlössern und Burgen nachgebaut worden.
Der Typus der Abgeschlossenheit könnte dieser Theorie als ein möglicher Beweis
dienen.
2. Die Funktionstheorie:
der Vierkanter biete die beste Betriebs- und Arbeitsfunktion für die
mittelalterliche Naturalwirtschaft.
3. Die
Evolutionstheorie: der Vierkanter ist das Ergebnis einer Entwicklungslinie, die
ihren Anfang nahm im mittelalterlichen Gruppen- (=Haufen-)hof mit der
innewohnenden Tendenz zur Ausbildung zum Regelhof. Die weitere Station auf dem
Wege zur Endform bildete dann der Vierseithof, der noch keine einheitliche
Firstlinie aufweist.
Diese freistehenden und für sich abgeschlossenen mächtigen Gehöfte
erinnern auch in mancher Hinsicht an die barocken Klosterbauten, von denen
Einflüsse auf das bäuerliche Bauen gewirkt haben mögen.
Die aus vielfältigen praktischen Erfahrungen gereifte Bauform bietet bei
der täglichen Arbeit in Haus und Hof zu jeder Jahreszeit arbeitsmäßig Vorteile
gegenüber weitläufigen Anlagen. Die vielen Arbeitsvorgänge zwischen Haus- und
Wirtschaftsräumen sind, im Vergleich etwa zum offenen Innviertler Vierseithof,
wesentlich kürzer, und man ist besser gegen die Unbill der Witterung geschützt.
Die These von der Evolution des Gruppenhofes zum Vierkanter als
überprüfbare Theorie ist heute am wenigsten umstritten. Sie wird vertreten von
A. Klaar, O. Moser, V. H. Pöttler.
Die Ausmaße der Vierkanter sind, von der Konzeption her gesehen, auf die
Größe des betreffenden Grundbesitzes abgestimmt. Wirtschaften ab rund 20 Joch
werden zur Kategorie der mittleren Betriebsgrößen gezählt.
Ab 40 Joch Grund sind die Besitzungen in die Kategorie der
Großvierkanter einzureihen. Diese Höfe erreichen einen Umfang von 180 bis 220
Meter.
Zum Hauptmerkmal dieser Gehöfttype gehört der viertraktige Bau mit der
ringsum geschlossenen Firstlinie; Wohngebäude und Wirtschaftstrakte sind
miteinander in einer Anlage vereinigt.
Rudolf Heckl umreißt in der OÖ Baufibel" das wesentliche des
Vierkanthofes mit folgenden Worten: Das Charakteristische des Vierkanters ist
sein Streben nach Geschlossenheit, das Burgähnliche und kristallisch
Vollendete."
Ursprünglich waren diese Gehöfte ebenerdig. Beim Aufstocken behielt man
- mit Ausnahme von Erweiterungen - die Grundkonzeption jedoch vielfach bei. Aufschlussreich
ist die Tatsache, dass überraschend viele Stallfronten südlich situiert sind,
während dies bei Wohntrakten weniger häufig vorkommt. Mit der daraus
abzuleitenden Annahme, dass die Südseite bei kälterer Jahreszeit eben die
geschütztere, die warme- und windstillere Seite ist, die echte Vorteile für das
Vieh bot, wird man sicher nicht fehl gehen. Die Räume für das Vieh genossen
immer schon einen Vorrang gegenüber den Wohnräumlichkeiten. So hat man
ursprünglich bei der Anwendung von festen Baustoffen zuerst mit den Stallungen
begonnen. Nach und nach kamen die anderen Trakte an die Reihe. Der Wohntrakt
war deshalb bei unseren Vierkantern erst das letzte Vorhaben. So konnte man
noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts manche Bauernhöfe sehen, bei
denen der Hausstock eingeschossig war, während alle anderen Gebäudeteile
Zweigeschossigkeit aufwiesen.
Als große Bauepoche für die Vierkanter (Aufstockung) kann man die
Zeit zwischen 1850 bis 1870 bezeichnen. Die Jahreszahlen an den
steinernen Haustürgerichten sind Beweis dafür. Der heimische Lehmboden lieferte
das wertvolle Rohprodukt für das noch nach über 100 Jahren so prächtig wirkende
Ziegelmauerwerk. Die hauseigenen Ziegelbrennereien begünstigten die rege
Bautätigkeit. Die Besitzer der Höfe Samhub in Reichhub, Katzwimmer in
Haidershofen und Huber in Hofkirchen wissen von ihren Vätern genau den
ehemaligen Standort der Ziegelöfen. Baggerarbeiten fördern fallweise Reste
solcher Öfen zu Tage. Das händische "Ziegelschlag'n" und das Brennen
besorgten Gastarbeiter aus Italien.
Als Bindemittel für den Ziegelbau wurde ein mit Wasser, Spreu und Grät'n
vermengter Lehm ("Loahmsupp'n") verwendet. Dieser bereits körnerfreie
Mörtel verlangte für das Mauerhandwerk große Genauigkeit und bewirkte durch die
erzielten schmalen Fugen einen gediegenen Gesamteindruck.
Bewundernswert sind die rohbelassenen Ziegelfassaden durch die
"Stürze" über den Fenstern, weiters durch das zwischen dem Erd- und
Obergeschoß ausgelegte Zierband-Element in verschiedenen Variationen und durch
die Gesimsgestaltung. Diese Mauerzier wurde erhöht durch weiße
Fensterputzfaschen. Echte Steinmetzkunst beweisen die steinernen Gewände bei
Haustür- und Hoftorrahmen. Auf eine sinnbildhafte und schmuckbetonte
"aufgedoppelte" Haustür wurde großer Wert gelegt. Von den
verschiedenen Türornamenten (Malzeichen, Rauten, Sonnen und Sterne) zählten die
Sternentüren zu den beliebtesten. Durch Anbringung an Fresken und bemalten
Bildern über den Haupteingängen - vornehmlich über der Haustüre - wurde
bildhaft das Haus unter den Schutz von Heiligen gestellt.
Die Vierkantfassaden künden von der handwerklichen Fertigkeit der
Erbauer, von ihrer Lebensauffassung, von einem guten Formgefühl und nicht
zuletzt auch von einem bestimmten Schmuck- und Zierbedürfnis. Die Erhaltung
dieser profanen Baudenkmäler sollte jedem Besitzer Verpflichtung sein. Nach
einem ungeschriebenen Gesetz obliegt es jeder Generation, auf dem Hof einen der
vier Trakte neu instandzusetzen, sodass sich der Hof innerhalb von etwa 100
Jahren immer wieder erneuert.
(Entnommen aus der soeben erschienenen Publikation "Das Mostviertel
und sein Museum in Haag"; Eigentümer, Herausgeber und Verleger Ob. Insp.
Johann Hintermayr.)
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