Nr. 137 - 1. September 1983 - 12. Jahrgang
Die Öhlermüllerin - Volkserzählung und
geschichtliche Realität
von OSR Franz Steinkellner
FORTSETZUNG DES 1.
TEILS
Anders als die Sage sind die
geschichtlichen Tatsachen
Kurz zusammengefasst ergibt sich folgendes
Bild:
Martin Pilsinger, ein Sohn des am 9.1.1674
verstorbenen Hans Pilsinger zu Pilsing, hatte am 6. Mai 1649 in erster Ehe die
Veronika Praunshofer aus der Pfarre Euratsfeld geheiratet. Er wurde Müller in
der Haslaumühle zu Euratsfeld. Seine erste Gemahlin, Veronika, starb am
21.3.1681. Am 4.11.1681 heiratete Martin die Susanna Resch (Posch ?) von
Litzellach, Pfarre Euratsfeld, und übersiedelte kurz darauf an die Öhlermühle,
wo Susanna 1683 von den Türken entführt wurde. 1690 war sie bereits in die
Heimat zurückgekehrt und stiftete mit ihrem Mann ein Votivbild zur Hl.
Dreifaltigkeit auf dem Sonntagberg, aus Dank für ihre glückliche Heimkehr. Ihr
Mann, Martin Pilsinger, starb am 30.6.1705, und Susanna heiratete am 25.
Oktober 1705 in zweiter Ehe den Martin Neydorffer. Sie starb am 20.12.1729 im
Alter von etwa 72 Jahren.
Was über diese Tatsachen hinaus erzählt
wird, ist nicht mehr Geschichte, sondern ist eine Geschichte, eine
geschichtliche Legende, ist erfundenes Beiwerk späterer Jahrhunderte.
Die zwei anderen in der Sage genannten
Frauen
Nun, der Erzählung nach waren es aber drei
Frauen, die heimkehrten. Wer waren die beiden anderen?
Eingangs sagten wir, dass die zweite als
"Reintaler Tini" bezeichnet wird. Alte Leute wußten weiter zu
berichten, dass sie vom "Dürerhaus" in Reintal genesen sein soll. In
meiner "Hof- und Familiengeschichte von Zeillern" finden sich über
diese Frau folgende aus der Zeillerner Matrik stammende Angaben:
Das Dürerhaus zu Reintal trägt heute die
Nummer 47 (früher Reintal 5) und ist nach dem Vorbesitzer Alois Dürer so
bezeichnet. Der jetzige Besitzer heißt Peireder. Auf diesem Haus läßt sich ab
27.1.1692 eine Christine Zeiner nachweisen. Sie mussdie gesuchte Reintaler Tini
sein, denn es läßt sich um diese Zeit keine andere Tini (Christine, Leopoldine)
im Reintal feststellen. Außerdem stimmt das von der Bevölkerung angegebene Haus
damit überein.
Christine wurde am 21.6.1656 in Zeillern
als Tochter des Schneidermeisters Stefan Gassner und seiner Ehefrau Susanna
vermutlich auf der Weingrub (heute Zeillern 36) geboren. 1683, zur Zeit der
Gefangennahme, war sie daher 27 Jahre alt. Erst nach ihrer Rückkehr aus der
türkischen Gefangenschaft kam sie nach Reintal, wo sie, wie schon erwähnt, am
27.1.1692 den Witwer Johann Georg Zeiner, Weber zu Reintal, ehelichte, dessen
erste Gemahlin, Barbara, am 5.12.1691 gestorben war. Christine gebar ihrem
Manne noch drei Kinder, Johannes (30.10.1692) der den Stamm fortsetzte,
Katharina (13.11.1696) und Barbara (22.10.1700). Sie starb am 24.5.1727.
Über die dritte der geraubten Frauen, die
"Empfinger Lisi", führten die Nachforschungen zu keinem Erfolg. Sie
soll vom Gatterbauernhof zu Empfing abstammen; daher müssten eigentlich die
Matriken von Stephanshart Auskunft geben können.
GR Pfarrer Spring nahm mich gastfreundlich
auf. Mehrere Tage verbrachte ich mit der Suche. Es gelang mir, aus der Matrik
die Familien der Besitzer auf dem Gatterbauernhof zu Empfing (heute Nr. 110)
für die in Frage kommende Zeit zu erforschen. Hier ein kurzer Abriss darüber:
Am 5. Juli 1665 heiratete Johannes Haider,
der Sohn des Matthias Haider vom Gatterbauernhof zu Empfing, eines gewisse
Magdalena Pründtner von Neustadtl. Ich hoffte, unter den Kindern kurz nach der
Heirat des jungen Paares eine Elisabeth zu finden. Es war keine dabei.
Am 3.1.1667 wurde Maria geboren, am
28.9.1668 Michael, am 28.10.1670 Barbara, am 1.4.1673 Stefan, der noch als Kind
starb, und am 28. Juni 1674 Sabine. Dann starb am 7.4.1776 der Besitzer
Johannes Haider im Alter von ca. 40 Jahren. Am 7. Juli des gleichen Jahres
heiratete seine Witwe den Matthias Hausleitner aus Pfaffenberg, Pfarre Stift
Ardagger. Es kam zur Geburt weiterer Kinder. Am 9.8.1677 wurde Susanna geboren,
am 1.7.1680 Magdalena, am 21.2.1683 Rosina. Im gleichen Jahr - es war das Jahr
des Türkeneinfalls, und am 12. September errang das Entsatzheer vor Wien seinen
grandiosen Sieg - war Magdalena, die Mutter der Kinder, Taufpatin bei der
befreundeten Familie der Stingel in der Au und hob das Kind Katharina aus der
Taufe (5.10.1683). Am 2.10.1685 gebar sie ihr letztes Kind, das ebenfalls den
Namen Katharina erhielt.
10 Jahre später, am 6.4.1695, starb
Magdalenas zweiter Mann, und nachdem sie ihn begraben hatte, schritt sie am 30.
Mai 1695 zur dritten Ehe mit Jörg Mayrhofer.
Aus dieser Zusammenstellung ist keine
Elisabeth ersichtlich, die sich mit der gesuchten "Lisi"
identifizieren ließe, ja es kommt überhaupt keine Elisabeth vor. Natürlich wäre
es möglich, dass die Gesuchte gar nicht der Familie angehört hat, dass sie etwa
Magd am Gatterbauernhofe gewesen ist. Dann ist sie durch die Matrik nicht
auffindbar. Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, dass nämlich der Name
Elisabeth (Lisi) gar nicht stimmt. Die Erzählung bezeichnet die Öhlermüllerin
ja auch als Kathl und als Patenkind des Moarwirtes in Öhling, während sie in
Wirklichkeit Susanna hieß und von Litzellach in der Pfarre Euratsfeld
abstammte. Man kann also in Bezug auf den Taufnamen Lisi ebenfalls sehr
skeptisch sein. Dann käme aus der Familie der Besitzer des Gatterbauernhofes
etwa auch die 1667 geborene Maria, die zur Zeit der Invasion schon 16 Jahre alt
war, eventuell sogar noch ihre damals 13-jährige Schwester Barbara in Frage.
Die Mutter Magdalena selbst kann auf keinen Fall mit der Gesuchten ident
gesetzt werden, da sie ja kurz nach der Türkeninvasion als Taufpatin aufscheint
und 1685 ihr letztes Kind geboren hat.
Die 1667 geborene Maria heiratete am
9.4.1693 den Jakob Kienast von Oberzeillern (heute Nr. 135) und starb am
23.5.1698 kinderlos. Am ehesten wäre die Gesuchte mit ihr gleichzusetzen,
allein es gibt keinen Beweis.
Frauenraub in der Türkenzeit
Die Tatsache, dass man heute die
Geschichte der Öhlermüllerin so erzählt, als habe sich ihr Mann während ihrer
Abwesenheit wieder vermählt, und die Heimkehrerin habe, todkrank, ihrer
Nachfolgerin freiwillig das Feld überlassen, lässt sich mit analogen Fällen
teilweise aufhellen.
Frauenraub war in den Türkenkriegen weit
häufiger, als wir heute annehmen. Nur selten gibt eine Chronik darüber
Auskunft. In den Matriken der Pfarren finden sich Eintragungen nur dann, wenn
Bewohner durch die Türken getötet wurden. Frauenraub aber war kein
Matrikenfall. Daher gibt es auch keine Eintragungen darüber. Manchmal aber
haben Männer, deren Ehefrauen geraubt worden waren, wieder geheiratet. Die
Zeillerner Matrik vermerkt zwei Fälle dieser Art aus dem Jahre 1687, wo die
Männer mit besonderer bischöflicher Erlaubnis wieder heiraten durften, nachdem
von den vier Jahre früher geraubten Frauen nichts mehr bekannt geworden war.
Hier die beiden Fälle:
1. Ursula Witzmannstorffer, Tochter des
Bartholomäus Nabegger und seiner Ehefrau Katharina von Oberzeillern, hatte am
9.2.1670 den Benedikt Witzmannstorffer, Zimmermeister zu Schörghof, geheiratet.
Ursula wurde von den Türken verschleppt. Benedikt heiratete am 5. Oktober 1687
neuerdings, nachdem er dazu eine bischöflich-passauische Heiratserlaubnis
erhalten hatte. Die Zeillerner Matrik vermerkt dazu: "Cujus Benedicti
Witzmannstorffer uxor nomine Ursula a Barbaris gentibus capta est anno 1683,
qui postmodum ex speciali licentia quae data est Anno 1687, 27.7. a Celsissimo
Principe nostro in Ida copulatus est."
2. Katharina Lauer von Luppenberg (heute
Nr. 204) war seit 23.11.1670 die Ehefrau des Matthias Lauer. Sie hatte das
gleiche Schicksal wie Ursula Witzmannstorffer. Auch Matthias durfte mit
bischöflicher Erlaubnis 1687 wieder heiraten.
Und dann passierte es, dass drei von den
Türken geraubte Frauen plötzlich wieder heimkehrten. Was liegt näher, als dass man
sich ausgemalt hat, wie es denn wäre, wenn eine der Heimkehrerinnen einen
wiederverehelichten Mann vorgefunden hätte.
Unsere Volkserzählung hat also die zwei an
sich getrennten Komponenten a) der Rückkehr der drei geraubten Frauen aus der
türkischen Gefangenschaft und b) die mögliche Wiederverehelichung des Mannes
mit besonderer Erlaubnis des Bischofs und der daraus sich ergebenden möglichen
Konsequenzen miteinander verwoben und dabei langsam auch die tatsächliche
Jahreszahl verwechselt.
Was an der Erzählung von der Öhlermüllerin
Wahrheit ist, sei durch diese Zeilen für die kommenden Geschlechter
festgehalten.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen