Nr. 226 -15.September 1990 -19. Jahrgang
Der Kollmitzberger Kirtag -
Niederösterreichs ältester und größter Jahrmarkt
(Dr. Heimo Cerny)
Seit 800 Jahren pilgern Gläubige zur Hl. Ottilie auf den Kollmitzberg
bei Ardagger, wo seit dem Ende des 12. Jahrhunderts eine Kirche steht. In
Verbindung mit dieser Wallfahrt entwickelte sich hier alljährlich -jeweils an
den letzten beiden Tagen der Herbstquatemberwoche, einem beweglichen Termin
des Kirchenjahres ‑ der traditionsreiche "Kollmitza Kirta", im
Volksmund "Schuasterkirta" genannt. In jüngster Zeit ist der Kirtagstermin
auf den 3. Sonntag im September fixiert worden. Es ist jedoch kein
"Ottilien-Kirtag", denn das Fest dieser Heiligen wird am 13. Dezember
gefeiert. Trotzdem wurde und wird der Kirtagsbesuch vielfach mit einer
Wallfahrt zur Augenpatronin verbunden. Aus dem uralten Standlmarkt vor der
Kirche ist in den letzten Jahren eine veritable landwirtschaftliche Musterschau
mit überregionaler Bedeutung geworden. Beinahe könnte man von einer
"Kollmitzberger Messe" sprechen.
Der erste urkundliche Hinweis auf ein Marktgeschehen am Kollmitzberg
stammt bereits aus dem Jahr 1516 (Schlossarchiv Seisenegg). Damals wurde in
einem Vertrag zwischen dem Stift Ardagger und dem Landgericht Seisenegg die
Höhe des Standgeldes, das man von den Krämern einforderte, schriftlich
festgelegt: "nemblich von ainem Stanndt zween Pfennig, von ainer Khuchl
acht Pfennig, wie von alter herkhummen genommen wirdt". Daraus lässt sich
schließen, dass der Jahrmarkt schon im 15. Jahrhundert, wenn nicht gar früher,
existierte, weil von "altem Herkommen" die Rede ist! Interessant ist
auch die Erwähnung von "Kuchln", was auf den Zulauf vieler Menschen
hindeutet, die nach den Strapazen eines beschwerlichen Anmarsches verköstigt
und gelabt werden wollten. Neben dem sogenannten "Großen Kirtag" im
Herbst hat es ursprünglich auch noch einen "Kleinen Kirtag" zu
Pfingsten gegeben, der allerdings schon im 17. Jahrhundert abgekommen ist.
Der Landrichter der Herrschaft Seisenegg hatte am Kollmitzberg das Recht
der "Kirchtagsbehut", eine obrigkeitliche Aufsichtspflicht, um
Diebstähle, Raufhändel und ähnliche Ausschreitungen hintanzuhalten und zu
bestrafen. Die erste urkundlich belegte Kollmitzberger Kirtagsrauferei ist im
Seisenegger Banntaidingbuch zum Jahre 1531 festgehalten, wo es heißt, dass
"der Wirt zu Kollmitz mit Namen Weygl den Jäger Staffan zu Kollmitz in der
Tafern mit einem Speiss angeloffen, und herausten vor dem Haus verwundt
hat".
In der Barockzeit erlebte das Kirtagstreiben im Zusammenhang mit der
Blütezeit der Wallfahrt seinen Höhepunkt. Über den Ablauf der kirchlichen
Feierlichkeiten rund um den Großen Kirtag gibt uns ein Bericht des Hofrichters
von Stift Ardagger aus dem Jahr 1775 ein anschauliches Bild. Wir erfahren hier,
"dass zu Kolmitzberg am Samstag im 3. Quatember bey versamelnden Volk um
7 Uhr frühe um die Felder ein Umgang mit dem Hochwürdigen Gut, darauf ein gesungenes
Hochamt, sodann um 1 Uhr Nachmittag eine Predigt de Beata Virgine Maria, darauf
die Vesper, um 6 Uhr Abends eine gesungene Litaney, um 11 Uhr Nachts wiederum
eine Predig und darauf ein Hochamt de Sanctissimo Sacramento, Sontags frühe
verschiedene Hl. Messen, um 9 Uhr aber nochmahlen eine Predigt, darauf das
Hochamt de Sancta Ottilia Patronin deren Augen und dasiger Kirchen, mit gesamter
Stifts Music gehalten wird, worbey die dahin kommende Wahlfarter nichts als
andächtigen Eyfer zeigen, auch schon vielle Gnaden erlangt haben..."
Für Herbergsuchende stand immer nur das winzige Gasthaus neben der
Kirche zur Verfügung, das dem Besucherstrom an Kirtagen bei weitem nicht gewachsen
war. Wer nicht in den umliegenden Bauernhöfen Aufnahme fand oder gar im Freien
die Nacht verbringen wollte, der schlug sein Quartier gleich in der Kirche
auf! Dies erregte freilich mitunter das Misstrauen der kirchlichen Behörden. So
erstattete im Jahr 1777 der zuständige Dechant seinem geistlichen Oberhirten,
dem Bischof von Passau, eine Anzeige, in der es unter anderem heißt, "dass
die Leute großen theils in der Kirchen übernachten, das Gotteshaus einer
Casernen gleich machen, da männliches und weibliches Geschlecht vermischet
liegen und logieren. Wie große Gelegenheit dadurch, und überhaupt durch derley
ungewöhnliche Nacht Andacht der zu den Kirchtägen ohnedieß gerne zulauffenden
ledigen Pursch zu Sünd und Lastern gegeben, auch dass hiemit die Kirche der
Verletzung ihrer Heiligkeit ausgesetzet werde, ist sich ganz leicht
vorzustellen". Die lakonische Antwort der bischöflichen Kanzlei lautete, dass
die Kirche abends "bey Zeiten gesperrt werden soll"!
Die Kirchenpolitik Kaiser Josephs II. hat der bisweilen ausufernden
barocken Volksfrömmigkeit allenthalben ein Ende gesetzt, doch am Kollmitzberg
kamen Wallfahrt und Kirtag nicht zum Erliegen. In der Biedermeierzeit scheint
der Pilgerstrom sogar wieder zugenommen zu haben, was den aufgeklärten Autor
eines "Handbuchs für Reisende auf der Donau" zu der ätzenden
Bemerkung veranlaßte: "In dieser einsam oben am Berge gelegenen Kirche
versammeln sich alljährlich viele tausend Menschen, um für ihre Augen zu beten,
während die Chorherren zu Ardagger und die im Herbste auf den hier gehaltenen
Jahrmarkt aus allen Provinzen Österreichs herbeykommenden Krämer ihnen die
Augen auf alle erdenkliche Art auswischen" (J.A.Schultes, Donaufahrten,
Stuttgart 1827).
Die im Volksmund übliche Bezeichnung "Schuasterkirta" ist
relativ jung und hat sich erst im vorigen Jahrhundert eingebürgert. Sie geht
vermutlich auf die Ereignisse während der Franzosenkriege zurück: Im Jahr 1809
hatten französische Soldaten auch den Kollmitzberg erstürmt und plünderten
Kirche, Pfarrhof und die umliegenden Bauernhöfe. Die Pfarrchronik beschreibt
die von Mai bis Oktober andauernden Überfälle sehr ausführlich. Mehrmals wird
vermerkt, dass die Franzosen mit fanatischer Besessenheit den Kirchenbesuchern
Stiefel und Schuhe raubten. Sogar frische Gräber wurden danach durchwühlt! In
allen Häusern richteten sie erheblichen Schaden an, bedrohten und misshandelten
die Bewohner und nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Viele
Menschen verließen verzweifelt ihre Häuser und richteten sich in Gräben und
Wäldern Notquartiere ein, um sich außer Lebensgefahr zu bringen. Der Pfarrhof
wurde vorübergehend zum französichen Standquartier, und beim Abzug füllte die
Soldateska noch den restlichen Weinvorrat in "dreißig Plüzer, zu deren
Verstopfung zwei meiner ( = des Pfarrers) besten Bücher verwendet worden".
In diesem Jahr konnte auch kein Kirtag stattfinden. Umso mehr strömten die
ausgeplünderten Menschen der ganzen Umgebung in den folgenden Friedensjahren
zum Kollmitzberger Jahrmarkt, um sich wieder mit lebensnotwendigen Gütern zu
versorgen, vor allem mit Kleidung, Wäsche und Schuhwerk. Denn schenkt man der
Pfarrchronik Glauben, so hat es nach 1809 in keinem Kollmitzberger Haus mehr
Stiefel und Schuhe gegeben. Kein Wunder, wenn die Schuster der Umgebung hier
einen ergiebigen Absatzmarkt witterten und sich jeweils in der
Herbstquatemberwoche mit einem großen Angebot am Kollmitzberg einfanden. Von da
an dominierten die Schusterstandl, und der Ruf des nunmehr so bezeichneten
"Schusterkirtags" verbreitete sich rasch bis ins obere Mühl- und
Waldviertel. Um die Jahrhundertwende, so wird erzählt, sollen sich bis zu
achtzig Schuhmacher, darunter auch aus Wien, mit ihren Kollektionen am Kollmitzberg
eingefunden haben.
Selbstverständlich wurden nicht nur Schuhwaren angeboten, die
bäuerliche Bevölkerung fand da alles, was man das Jahr über benötigte und
konnte sich mit Vorräten für die langen Wintermonate eindecken. die
"Pechlmänner" aus dem Mühlviertel boten das begehrte Pechöl an, das
vorwiegend in der Viehhaltung zur Seuchenbekämpfung Verwendung fand, aber auch
in der Humanmedizin als probates Hausmittel geschätzt war. Beim
Pfeifenschneider konnte sich so mancher Bauer eine neue, handsame Tabakspfeife
erstehen, wenn die alte nicht mehr recht ziehen wollte. Gern besucht wurden die
großen Metzelte, wo es Met für die Erwachsenen und süßen Lebkuchen für die
Kinder gab. Wichtig war natürlich der Viehhandel. Aber auch Heiratskontrakte
wurden am Rande des Kirtags geschlossen. Dienstboten, die sich's
"verbessern" und ihren Platz wechseln wollten, suchten Kontakt mit
den Bauern, um dann zu Lichtmess zu übersiedeln. Die Knechte und Mägde bekamen
anstatt eines Weihnachtsgeschenks meist ein "Kirtaggeld", um sich
nach eigenem Geschmack "eingwanden" zu können. Trotz des bunten und
hektischen Kirtagstreibens blieb auch noch Zeit für ein Gebet am Altar der hl.
Ottilie, wo man eine Opfergabe niederlegte und ein Andachtsbild mit nach Hause
nahm.
In Notzeiten und Kriegsjahren schrumpfte der Kirtag natürlich auf ganz
wenige Standl zusammen, und während des 2. Weltkriegs drohte er völlig
einzugehen. Ab 1948 begann der Jahrmarkt allmählich wieder aufzublühen, und
seither steigt der Zustrom an Schaustellern und Besuchern kontinuierlich an.
Aus dem "Schuasterkirta" der Großväter hat sich in den letzten Jahren
eine Landwirtschaftsmesse mit Volksfestcharakter entwickelt. Aus dem
idyllischen Standlmarkt zwischen Kirche und Gasthaus ist eine temporäre
Zeltstadt geworden, die sich Mitte September am Kollmitzberger Höhenrücken
lärmend ausbreitet. Im Vorjahr wurden 400 Aussteller und 40.000 Besucher
registriert - an einem einzigen Wochenende und ohne nennenswerte Propaganda!
Somit ist der Kollmitzberger Kirtag auf dem altheiligen Ottilienberg nicht nur
der älteste (mit einer Kontinuität von mindestens 600 Jahren), sondern
gegenwärtig auch der größte Jahrmarkt des Landes Niederösterreich.
Quellenangabe:
Pfarrarchiv Kollmitzberg; Diözesanarchiv St. Pölten (Kollmitzberger
Pfarrakten und Inventare); NÖ Landesarchiv (Klosterrat/Propstei Ardagger,
Schloßarchiv Seisenegg); Archiv des Bistums Passau.
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