Nr. 190 - 1. Februar 1988 - 17. Jahrgang
Arbeit und Leben der ländlichen Handwerker
des Mostviertels in früheren Zeiten
(von Anton Distelberger,
Mostviertler-Bauernmuseum)
12. Der Brunnenmacher
Wasser war für den Menschen und seine
Haustiere immer lebenswichtig; die Wasserversorgung
spielte naturgemäß eine bedeutende Rolle. Ursprünglich
baute der Mensch keine auf wendigen Anlagen, um das Wasser dorthin zu
befördern, wo er und seine Tiere sich aufhielten; er richtete sein Leben dort
ein, wo es in der Nähe genug Wasser gab Im ländlichen Raum (so auch im
Mostviertel) musste das gesamte Trink und Kochwasser mit dem Buckeljoch und
Ampern (Holzkübeln) von einer Quelle zum Haus getragen werden, die Tiere mussten
regelmäßig zu offenen Wasserstellen getrieben werden, oder es wurde auch für
sie herbeigetragen.
In den Schlössern, Burgen, Städten und
Märkten gibt es natürlich auch im Mostviertel schon lange Zeit Brunnen. Unsere
Bauern konnten es sich aber erst im 19. Jahrhundert, als die materielle Not der
frühen Neuzeit etwas geringer wurde, leisten, das Wasser mechanisch durch einen
Ziehbrunnen oder einen "Widder" in das Haus zu bringen. Seither gibt
es also auch erst die ländlichen Brunnenmacher im Mostviertel (Bei den
bekanntesten Brunnenmachern im Raum Amstetten, der Familie Greibich, kann man
das Handwerk beispielsweise bis 1837 zurückverfolgen).
Heute sind die früheren Brunnenmacher
zumeist Installateure; das Wasser wird elektrisch in die Häuser gepumpt. Wenn
neue Brunnen gemacht werden, so werden sie nicht mehr gegraben wie früher,
sondern gebohrt.
Bei der Standortwahl für einen Brunnen war
man früher auf Vermutungen angewiesen, wo genug Wasser vorhanden sein könnte,
denn Wünschelrutengeher waren im Mostviertel noch Anfang dieses Jahrhunderts
kaum bekannt und man hatte natürlich auch nicht die Möglichkeit, Probebohrungen
oder dergleichen durchzuführen.
Es wurde einfach so tief gegraben, bis man
auf Wasser stieß (in seltenen Fällen auch früher schon bis zu 50 Meter tief).
Oft begnügte man sich nach so viel Arbeit mit Sickerwasser darum gibt es auch
sehr viele später ausgetrocknete Brunnen.
Das Brunnengraben war im Wesentlichen eine
"Winterarbeit", weil der Winter in der Landwirtschaft eine
arbeitsärmere Zeit war.
Ein wichtiges Hilfsmittel war der
"Brunnenbock", den man über dem begonnenen Brunnen aufstellte, um
damit das Material herauf zuziehen und den Brunnenmacher mit seinem Werkzeug in
die Tiefe hinunterzulassen. Dieser Brunnenbock ist ein gut zwei Meter hoher hölzerner
Dreifuß, an dem quer über zwei Füße ein starker Holzbalken mit einer hölzernen
Kurbel an beiden Seiten drehbar, befestigt war. über diesen Balken war ein
dickes Hanfseil gewickelt, das über ein hölzernes Klobenrad an der Spitze des
Bocks in den Brunnen hineinführte. An das Seilende wurde ein Holzschaff
angehängt.
Der Brunnenmacher selbst war unten im
Brunnen, um zu graben. Wenn er das Schaff mit dem Aushubmaterial gefüllt hatte,
wurde es von zwei starken Männern. die oben an den Kurbeln standen, aufgezogen
und entleert. Das Graben war eine schmutzige Arbeit, da z.B. auch wenn sich
Sickerwasser mit Lehm vermischte, einfach weitergegraben werden musste.
Oft war diese Arbeit auch recht hart, wenn
der Brunnenmacher nämlich z.B. auf einen Felsen stieß, musste er mit Hammer und
Meißel weiterarbeiten. Noch dazu war es ziemlich gefährlich, in der Tiefe zu
arbeiten, da man von herabstürzenden Teilen getroffen werden konnte und oft
Stickgase aus dem Erdreich einsickerten. In diesem Fall ließ man aus einem Spritzkrug
Wasser hinunterrieseln, um das Gas zum Aufsteigen zu bewegen. Wenn das Erdreich
locker war oder durch Schotter gegraben wurde. musste der Brunnen mit Pfosten
und Bolzen verspreizt werden, um ihn am Einstürzen zu hindern.
Wenn der Brunnenmacher auf genügend Wasser
gestoßen war, zimmerte er aus Eichenholz den "Brunnenkranz" zusammen
und legte ihn auf den Grund des Brunnens ins Wasser Auf der Basis dieses
Eichenkranzes wurde dann die Wand des Brunnens rundherum oder in viereckiger
Form mit großer Handfertigkeit von unten nach oben mit Granit oder
Kieselsteinen ausgelegt und dabei auch Stück für Stück die hölzerne Schalung
entfernt. Durch diese Auskleidung wurden die Wände dauerhaft stabil gemacht. In
späterer Zeit wurden die Brunnen im Zuge des Grabens von oben nach unten mit
Hilfe einer Schalung ausbetoniert. Der nächste technische Schritt waren die
vorgefertigten betonierten Brunnenrohre, die immer wieder oben aufgesetzt
wurden und beim Graben einfach nachrutschten.
Wenn der Brunnen fertig gegraben und
ausgekleidet war, brauchte man natürlich noch eine Vorrichtung, um das Wasser
aus der Tiefe heraufzuholen. Dazu wurden ursprünglich hölzerne Ziehpumpen
gebaut. In der Mitte des Brunnens verliefen hölzerne Rohre zur
Wasserführung. Für diese Brunnenrohre wurden Lärchenstämme (manchmal auch
Kiefer) verwendet, die in einer Länge von 5 m abgeschnitten und mit einem
ebenso langen "Brunnenbohrer" ausgebohrt wurden.
Dieses Bohren war eine schwere Arbeit, die
sehr viel Genauigkeit erforderte, damit der Stamm in seiner ganzen Länge genau
in der Mitte durchbohrt wurde. Der Bohrer wurde immer wieder herausgenommen und
der herausgebohrte Kern angeschaut, ob er noch genau aus der Mitte war. Die
Röhren wurden an den Enden mit Eisenringen beschlagen (bei tiefen Brunnen die
unteren auch öfter in der Mitte), damit sie dem Druck standhalten konnten Beim
Zusammenbau wurde an den Verbindungsstellen der Röhren eine eiserne Büchse (ein
beiderseits schneidender, breiter Ring) ins Holz getrieben, indem die Rohre mit
dem "Rohrfuchs" oder "Brunnenschlägel" zusammengeschlagen
wurden, sodass sie dicht waren.
Der Aufbau eines Ziehbrunnes war
folgendermaßen. Im Wasser befand sich das "Saugrohr". Dieses, auf 3
Zoll (7,5 cm) ausgebohrte Rohr, war am unteren Ende geschlossen (zum Schutz
gegen Schlamm) und hatte seitlich Löcher, damit das Wasser eindringen konnte.
Oben darauf wurde eine Leder falle als Ventil angebracht, die sich öffnete,
wenn von oben angesaugt wurde. Darüber war das "Stiefelrohr"
befestigt, in dem sich der Pumpenkolben befand. Ursprünglich verwendeten die
Brunnenmacher aus Erlenholz gearbeitete Holzkolben, die am unteren Ende mit
Leder als Dichtmaterial umgekleidet waren. In diesem Kolben war eine zweite
Leder falle eingearbeitet, die sich nach oben öffnete und beim Pumpen das
Wasser durch die Bohrung und die seitlichen Öffnungen des Kolbens nach oben
strömen ließ. In späterer Zeit wurde das "Stiefelrohr" innen mit
einem "Messingstiefel" ausgekleidet, es wurden Messingkolben und
Messingventile verwendet.
Auf das "Stiefelrohr" wurden die
auf zwei Zoll ausgebohrten "Zugrohre" gesetzt, die die ganze Höhe des
Brunnens hinauf verliefen und seitlich immer wieder mit Bolzen verspreizt
wurden. In ihnen verlief der "Zug", das Gestänge, mit dem von der
Schöpfstange aus der Kolben in der Tiefe bewegt wurde. Er bestand aus dünnen
Fichtenstangen. die mit eisernen Stangenschlössern zusammengehalten wurden.
Zirka eineinhalb Meter unter dem Brunnendeckel wurde auf die Zugrohre das
"Kopfrohr", das letzte Rohrstück aufgesetzt. das im hölzernen
"Brunnenkopf", dem oberirdischen Teil mundete, war oft schön
geschnitzt und mit der Jahreszahl der Herstellung versehen. Oben am Brunnenkopf
war die Schöpfstange befestigt, mit der man über das "Leitscheit" den
"Zug" und somit den Kolben in der Tiefe bewegte oder, einfacher
gesagt, Wasser heraufpumpte.
Dabei geschah in der Tiefe folgendes:
Wurde der Kolben nach oben gezogen, drückte er das Wasser, das über ihm war,
die Rohre hinauf, sodass es oben beim Auslaufrohr herausfloss, während
gleichzeitig unter dem Kolben ein Sog entstand. der die Lederfalle darunter
öffnete und Wasser ansaugte. Wenn man mit der Schöpfstange den Kolben wieder
nach unten drückte, schloss sich die Lederfalle über dem Saugrohr, wodurch das
Wasser am Ausströmen gehindert wurde. Das Ventil im Kolben aber öffnete sich,
das Wasser konnte durch die Öffnungen des Kolbens hindurchfließen und beim
nächsten Hub wieder hinaufgepumpt werden.
Wenn man genug Wasser her aufgepumpt
hatte, mussten die Ventile so dicht halten, dass das Wasser in den Röhren
stehen blieb und bei Bedarf einfach weitergepumpt werden konnte. Deswegen
wurden bei sehr tiefen Brunnen über dem Saugrohr zwei Ventile eingebaut.
Hatte der Brunnenmacher einen Brunnen in
mühsamer Arbeit fertiggestellt, so brauchte er ihn nur alle 10 Jahre einmal
warten. Dann allerdings musste er alle Teile bis zum Saugrohr abheben, um die
Lederventile erneuern zu können. Die Lärchenröhren im Brunnen hielten etwa 50
Jahre lang.
Der hydraulische Widder
Im Hügelland des Mostviertels war es für
die Bauern, deren Höfe etwa höher lagert, früher meist unmöglich, einen Brunnen
beire Haus graben zu lassen; das Wasser war zu tief unter der Oberfläche Für
diese Leute war die Erfindung des "Widders" durch einen Franzosen im
18. Jahrhundert von großer Bedeutung.
Denn dieser "Widder", der vor
allem im 19. Jhd. auch bei uns von den Brunnenmachern hergestellt wurde, konnte
auf einfache Weise Wasser über große Strecken und Höhenunterschiede hinweg
pumpen und wurde
einzig und allein durch Wasser von geringem
Druck betrieben. Eine Widderanlage war wohl eine große Erleichterung und
bedeutete einen gewissen Komfort für ein Gehöft, da das Wasser nicht mehr auf
dem Rücken geschleppt werden brauchte, sie war allerdings auch relativ teuer.
Ein Bauer musste dafür etwa zwei schwere Ochsen verkaufen, um sie bezahlen zu
können, wobei zu bedenken ist, dass auch auf großen Bauernhören früher nur verhältnismäßig
wenig Vieh gehalten wurde.
Überall, wo Fließwasser mit
Trinkwasserqualität im Überfluss vorhanden war, und sei es in einem noch so
tiefen Graben, hunderte Meter entfernt vom Haus, konnte ein Widder betrieben
werden. Das Wasser (ein Bach oder eine Quelle) wurde aufgefangen und floss in
einem 2-Zoll-Rohr zum Widder. Dort konnte dann etwa ein Fünftel davon in einem
sehr kleinen Rohr (häufig 3/8 Zoll) nach oben in ein Reservoir in der Nähe des
Hauses gepumpt werden (für jeden Meter Gefälle zum Widder etwa zehn Meter
hoch). Tag und Nacht floss das Wasser in geringer Menge, aber stetig, sodass
ein oder mehrere Häuser mit Wasser versorgt werden konnten. Ein Widder wurde im
Prinzip folgender maßen gebaut. Er besteht aus einer Zuleitung, auf der ein
Windkessel (ein Druckausgleichsgefäß mit einem Luftpolster) sitzt, der durch
ein Lederventil von der Zuleitung abgeschlossen ist.
Diese Leitung endet in einem Stoßventil vom Windkessel zweigt das
kleine Bleirohr ab, das zum Haus führt. Das herbeiströmende Wasser drückt das
Stoßventil nach oben, bis es schließlich abrupt schließt. Durch diesen Stoß und
die Massenträgheit des Wassers baut sich in der Leitung plötzlich ein
verhältnismäßig hoher Druck auf das Lederventil zum Windkessel wird geöffnet,
und eine geringe Menge Wasser (ca. 1/5 der Gesamtmenge) strömt mit demselben
Druck in den Windkessel. Dadurch fällt der Druck, der durch den Stoß momentan
in der Zuleitung aufgebaut wurde, zusammen, das Stoßventil sinkt durch sein
Gewicht nach unten und öffnet sich, durch das herbeiströmende Wasser wird es
wieder zugedrückt usw.. Vom Windkessel aus wird das Wasser in die Ableitung
hochgedrückt.
Im 19 Jahrhundert wurden im Mostviertel
tausende Widder gebaut: an einem einzigen kleinen Bach in meiner Nachbarschaft
liefen z. B 8 Widder, die die Bauernhäuser mit frischem Wasser versorgten. Der
aufmerksame Spaziergeher kann heute noch in so manchem Graben das regelmassige
Klopfen eines Widders hören, der schon über hundert Jahre alt, aber nach wie
vor in Betrieb ist.
Im Gebiet um Zeillern ist wieder eine
andere Lösung der Wasserversorgung recht häufig zu finden, nämlich mit
Hilfe von Wasserrädern. Ein gewisser Kubala in Ludwigsdorf erzeugte diese
Pumpen. die dort aufgestellt werden konnten, wo es eine Quelle in der Nähe
eines Baches gab. Der Bach wurde zum Antrieb des Wasserrades verwendet,
das betätigte eine Kolbenpumpe, die das Quellwasser in ein Reservoir beim
Bauernhaus pumpte. Heute noch werden in Zeillern acht Bauernhöfe auf diese
Weise mit Wasser versorgt, beim Hagler in Krenberg läuft ein und dasselbe Rad
schon seit 1892.
Der Brunnenmacher wurde von den Leuten oft
als strenger und unguter Mensch empfunden, da er von seinen Mitarbeitern mit
aller Vehemenz Disziplin und Genauigkeit fordern musste, beim Brunnengraben war
ja ständig sein Leben in Gefahr.
Dafür wurde er im Verhältnis zu anderen
Handwerkern gut bezahlt. Im Jahre 1928 z. B. bekam er für einen Meter
Brunnengraben unter beschwerlichen Verhältnissen fünfzig Schilling (ein Bauer
bekam für ein Kalb einen Preis von einem Schilling pro Kilogramm).
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