Nr. 298 - 1. August 1995 - 21. Jahrgang
DIE KIRCHE ST. VEIT IN TOBERSTETTEN, DER
HL. VEIT UND DAS HÜHNEROPFER
(verfasst von Dr. Peter Maier)
Wer aus dem Ybbstal kommt und die
sehenswerte Ausstellung "Ostarrichi vor 996 - Archäologische Funde an der
Wiege Österreichs" in Neuhofen besucht, kann die schöne Höhenstraße über
Toberstetten einschlagen. Auf markanter Höhe steht einladend die frisch
restaurierte Kirche St. Veit. Dort genießt man einen faszinierenden Rundblick
über die schöne Gegend und wird im Inneren der Kirche durch interessante Dinge
überrascht.
Toberstetten ist bereits im 12.
Jahrhundert bekannt. 1313 wird auf dem Berg eine Kirche mit einem Friedhof
erwähnt. Daraus dürfen wir folgern, dass auf dem Berg ein uralter Andachtsplatz
gewesen ist, wie mit Sicherheit auch auf dem Sonntagberg eine vorchristliche
Kultstätte anzunehmen ist. Der Name Toberstetten (Doberstetten) ist slawisch,
könnte aber keltischen Ursprungs sein. Man müsste gezielt nachforschen, ob in
den Flurnamen Toberstetten und Kukerforst nicht die keltischen Grundwörter
Dubra und Cucul überliefert sind.
Im Hinblick auf die Kelten und ihre
Religion ist noch manches rätselhaft. So gibt es unter den Göttinnen häufig die
Dreiheit; eine dieser Dreiheiten hat auffallende Ähnlichkeiten mit den drei
Jungfrauen Barbara, Katharina und Margarete (bzw. Ambet, Wibet und Werbet), die
ebenfalls nicht selten als Dreiheit vorkommen.
Auch im Ybbstal kennt man den Vierzeiler:
Die Margaret mit dem Wurm,
Die Wawerl mit dem Turm,
Die Kathl mit dem Radl
Sind die drei heiligen Madl.
Ähnlich ist es mit der keltischen Göttin
Brigit, deren Eigenschaften sich in der heiligen Brigitte wiederfinden.
Die Kirche St. Veit ist Anfang des
15.Jahrhunderts erbaut worden. 1435 wird sie erstmals genannt. In den Jahren
1696 bis 1718 wurde die Kirche nach dem Plan von Jakob Prandtauer neu gebaut.
Die geräumige dreijochige Barockhalle (mit 244 Sitzplätzen) ist an den
gotischen Altarraum angebaut worden.
Der Hochaltar und die beiden Seitenaltäre
stammen aus dem Jahre 1697 und sind bedeutende Schöpfungen des ausgehenden 17.
Jahrhunderts: Das Hochaltarbild mit dem Martyrium des hl. Veit schuf der Maler
Ferdinand Huber aus Ulmerfeld. Das Chorgewölbe enthält eine
Dreifaltigkeitsdarstellung (um 1700), die von besonderem Interesse ist: die
drei göttlichen Personen sind getrennt in drei Medaillons als gleichförmige
Menschen dargestellt; eine Darstellungsweise, die durch die Kirche längst
verboten war. Eine andere Dreiheit ist die Darstellung der "drei heiligen
Madl" Barbara, Katharina und Margarete am Hauptaltar. Die üblichen
Kunstführer beschreiben die schönen Statuen der hl. Barbara und der hl.
Katharina beiderseits des Hochaltars, erwähnen aber nicht das oberste Bild des
Hochaltars, in dem die hl. Margarete dargestellt ist. Die eigenartigste
Einrichtung der Kirche ist aber die Hühnersteige, die sich in der Rückwand des barocken
Hochaltars befindet (heute ebenfalls gut restauriert). In dieser mit Löchern
versehenen Stiege hatten bis zu 20 Hühner Platz.
Noch im vorigen Jahrhundert bestand für
die Opferhühner ein Auslauf in den Mesnergarten. Hühner gab es in dieser Steige
bis in unsere Zeit. Titelheiliger ist der hl. Veit (Vitus). Obwohl direkte
Zeugnisse fehlen, ist an seiner geschichtlichen Existenz nicht zu zweifeln. Er
ist auf Sizilien geboren und um 303/305 wegen seines christlichen Glaubens zu
Tode gemartert worden. Die legendarische Lebensgeschichte des Heiligen ist um
600 in der römischen Provinz Lukanien entstanden. Um dieselbe Zeit ist erstmals
auch in Gallien seine Verehrung bezeugt. Die Gebeine des Heiligen sollen 583
von Sizilien nach Unteritalien, 756 nach Saint-Denis und 836 nach Corvey an der
Weser gebracht worden sein; Corvey wurde seither ein Zentrum der Verehrung
dieses Heiligen.
Am Beginn des 10. Jahrhunderts erwarb
Herzog Wenzel einen Armknochen als Reliquie für die Prager Kirche, der
Vorgängerin des späteren Veitsdomes. Kaiser Karl IV. erwarb 1355 in Pavia
weitere Veitsreliquien, deren Echtheit aber nicht sicher ist. Während des
Dreißigjährigen Krieges wurden sämtliche in Corvey noch vorhandenen
Veitsreliquien geraubt und höchstwahrscheinlich nach Prag gebracht. Man zählt
heute ungefähr 150 Orte, die der Überzeugung sind, Veitsreliquien zu besitzen.
Über 1300 Orte haben den hl. Veit zum Patron. Seit dem Mittelalter ist St. Veit
einer der 14 Nothelfer. Mindestens 35 Berufsgruppen haben den hl. Veit zu ihrem
besonderen Schutzheiligen, viele Bruderschaften, Zünfte, Länder und Orte zu
ihrem Patron erwählt. Vielfältig ist die Darstellung des Heiligen in Dichtung
und bildnerischer Kunst.
Wie kommt der hl. Veit zum Hühneropfer?
Der hl. Veit wird häufig mit einem
schwarzen Hahn abgebildet. Da die älteren Legenden nie einen Hahn erwähnen, muss
dieses Motiv später in die bildliche Darstellung des Heiligen eingeflossen
sein. Es ist bekannt, dass der Veitstag (15. Juni) seit dem 13. Jahrhundert
auch als Tag der Sonnenwende und als der längste Tag des Jahres begangen wurde.
Deshalb werden neben den Johannisfeuern auch schon am Veitstag Sonnwendfeuer
angezündet.
In slawischen Sagen heißt es, St. Veit
bringe mit seinem starken Licht die Nachtigall und alle Singvögel zum
Schweigen. Bei den Slawen gab es den Lichtgott Svantevit, dessen Kult durch die
starke Veitsverehrung verdrängt wurde. Diesem slawischen Lichtgott Svantevit
wurden Hähne und Hühner geopfert. Es ist naheliegend, dass diese Form der
Verehrung auch auf den hl. Veit übertragen wurde.
Tatsache ist, dass das Opfer lebender
Hühner zu Ehren des hl. Veit eine weite Verbreitung hat. Im Veitsdom zu Prag
opferte die Landbevölkerung jährlich am 15. Juni einen Hahn. Im Elsass opferte
man schwarze Hennen. Im Riesengebirge opferten die Bewohner dem hl. Veit Hähne
und Hennen. Die Hähne wurden im Wald freigelassen, die Hennen in einem See oder
Teich ertränkt. In Bayern und Österreich sind zahlreiche Hühneropfer zu Ehren
des hl. Veit bekannt. Hier nur einige Beispiele aus Österreich und Südtirol. Hühneropfer
gab es in Ampas bei Innsbruck. In Meransen im Pustertal ist ein Hühneropfer zu
Ehren des hl. Veit verbunden mit dem Patrozinium der drei heiligen Jungfrauen
Ambet, Wibet und Werbet. In Schwaz wurde am Veitstag eine Statue des hl. Veit
aufgestellt und dahinter eine Hühnersteige, in welche die Besucher des
Hochamtes eine lebende Henne opferten, die an den Mesner abgegeben wurde. In
der Pfarrkirche St. Veit in Defereggen existiert eine Maueröffnung, die
seinerzeit als "Henn-Loch" für die Opfer diente.
In Niederösterreich stand in der
Pfarrkirche zu Hausleithen am Wagram ein Veitsaltar, der noch 1686 erwähnt
wird; in einem Urbar von 1603 heißt es u. a., dass am St. Veitstag ein
gesungenes Amt gehalten wird, bei dem das Volk zahlreiche Opfer von Hühnern und
Wachs darbringt. In Oberösterreich, z.B. in Baumgartenberg, brachte man am
Veitstag junge Hühner am Altar des Heiligen dar und machte mit ihnen Kreuze
über den Altar. Sehr bekannt ist schließlich Ober St. Veit in Wien mit der seit
1365 bestehenden Veitskirche. Wiener und Wallfahrer aus der Umgebung kamen am
15. Juni nach Ober St. Veit und opferten in der Kirche Hahn und Henne.
Der Aufklärungsschriftsteller Johann David
Hanner veröffentlichte 1783 darüber eine Schrift mit dem Titel: "Der
redende Hahn und die redende Henne zu St. Veit bei Wien". In Form eines
Zwiegesprächs unterhalten sich der aufgeklärte Hahn und die junge Henne über
Sinn und Zweck des Veitsopfers, wobei nicht gespart wird mit satirischen
Seitenhieben auf das Hühneropfer in St. Veit und andere Missstände. Der
aufgeklärte Dialog schließt mit einer schonungslosen Verurteilung des
Hühneropfers. "Henne: Wenn ich keine Henne wäre, müsste ich lachen. Hahn:
Wenn du's nicht kannst, so tun es schon die Leute; sie lachen jene aus, die uns
opfern.
Ich habe vor zwei Jahren einen braven
Herrn fast eine halbe Stunde darüber lachen gehört."
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